Interview

Rebellen sollte man fördern

Simon Sagmeister

Rebellen, die sich etwas trauen, sollte man fördern

Neue Zürcher Zeitung | Nicole Rütti | 03.01.2018

 

Simon Sagmeister erklärt, was traditionelle Unternehmen von den digitalen Champions lernen können.

 

Herr Sagmeister, Sie beraten Firmen und Organisationen bei der Gestaltung ihrer Kultur. Worum geht es?

Es geht um die Frage: Wie tickt ein Unternehmen? Die Kultur definiert, wie Menschen in einer Firma wahrnehmen, sprechen, denken, fühlen und handeln. Lange Zeit haben sich nur die Personalabteilungen damit beschäftigt. Doch heute ist das Thema in den Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen angekommen, weil die Welt komplexer geworden ist. Ausserdem funktionieren klassische Command-and-Control-Strukturen nicht mehr. Es geht deshalb darum, eine Kultur zu schaffen, die sich selbst erfolgreich macht und das Unternehmen am Leben erhält. Auch im Kampf um Talente ist sie ein wichtiger Faktor geworden. Die besten Köpfe suchen sich den Arbeitgeber nicht nach dem Gehalt aus, sondern sie suchen eine Kultur, die ihnen passt.

 

Gibt es die erfolgreiche Kultur?

Es gibt nicht die perfekte Kultur. Eine Technologiefirma braucht eine andere Kultur als ein Krankenhaus. Doch es ist für alle Unternehmen wichtig zu hinterfragen: Passt unsere Kultur zur Marktsituation? Denn es überleben diejenigen Unternehmen, die sich an ihre Umwelt anpassen können.

 

Und im Hinblick auf die Digitalisierung: Welche Kultur braucht es da?

Digitale Unternehmen setzen beispielsweise den Fokus nicht auf das Vermeiden von Fehlern, sondern auf das Lernen und haben diesen Grundsatz in ihrer Kultur institutionalisiert. Bei Facebook gilt beispielsweise das Motto «Move fast and break things», was ungefähr heisst: «Sei schnell, brich Regeln und Etabliertes!»

 

Diese Kultur sollen traditionelle Unternehmen nun einfach kopieren?

Das Wesentliche ist nicht das Kopieren, sondern das Kapieren. Man muss wissen, wie die neuen Champions ticken, um zu verstehen: Wo kann ich von ihnen lernen? Wie gehen die mit Fehlern um? Wie führen sie? Wie rekrutieren sie Talente? Doch sie können ein traditionelles Unternehmen nicht von heute auf morgen in ein Silicon-Valley-Startup verwandeln.

 

Die Kultur im Silicon Valley hat aber auch ihre Schattenseiten . . .

Ja, die Eigenschaft, auf Schwächere Rücksicht zu nehmen, ist da wenig ausgeprägt. Bei Amazon bekommen sie nicht sechs Wochen Ferien. Und ein Unternehmen wie Tesla kann zwar kämpfen. Aber es weist nur eine geringe Stabilität und Kontinuität auf.

 

Wie kann die Führung die Kultur beeinflussen?

Wichtig ist die Vorbildfunktion der Führungsmannschaft. Mitarbeiter beobachten sehr genau, wie geführt wird, und verhalten sich entsprechend. Ich kenne ein traditionelles Unternehmen aus dem Automobilzulieferbereich, das neue Köpfe aus dem Silicon Valley eingestellt hat. Zwei der Neurekrutierten haben bereits nach ein paar Monaten das Unternehmen wieder verlassen, und die übrigen neuen Mitarbeiter haben schnell gemerkt, dass sie mit halber Arbeit auch durchkamen. Eine neue Kultur lässt sich nicht einfach so von aussen einpflanzen.

 

Wo liegt das Problem?

Es ist schwierig, eine Aufbruchstimmung zu schaffen, gerade dann, wenn Firmen in der Vergangenheit erfolgreich waren. Banken, die Automobilbranche oder Versicherungen stehen erst am Beginn der Digitalisierung. Viele Firmen müssen sich überlegen, ob ihr Geschäftsmodell morgen noch funktionieren wird.

 

Wie kreiert man Aufbruchstimmung?

Indem Unternehmen neue Ideen und Köpfe anziehen, Querdenker zulassen und Rebellen fördern, die bewusst gegen Konventionen verstossen.

 

Welche Art von Führung brauchen Unternehmen im heutigen Umfeld?

Es braucht Führungskräfte, die sich als Coachs verstehen. Diese führen kraft ihrer Mission und nicht mehr mit direkten Anweisungen.

 

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